Interview: Wie Atlassian auf Cloudangst und Überkonfiguration seiner Tools reagiert
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Marcus HeldIch war kürzlich auf der Team ‘24, quasi Atlassians Hausmesse, und habe mich dort mit Matt Schvimmer, Senior Vice President und Head of Product für das Agile- und Devops-Portfolio von Atlassian, getroffen. Wir haben darüber gesprochen, welche Unterstützung die Atlassian-Tools für moderne Softwareentwicklung bieten.
Besonders für Teams, die in komplexen Umgebungen arbeiten, spielen Jira, Bitbucket, Compass und das neu angekündigte Focus eine große Rolle. Schvimmer hat mir Einblicke in die Weiterentwicklung der Atlassian-Tools und in zukünftige Pläne gegeben. Außerdem sprach er mit mir über Herausforderungen wie die Synchronisation von Dokumentation mit dem Code und den Umgang mit der Komplexität von Microservices. Aber auch die Überkonfiguration von Tools oder Bedenken gegenüber der Cloud waren im Interview Thema.
Mein Name ist Marcus Held, ich schreibe schon länger und immer wieder für Golem.de und freue mich, Teil des neuen Newsletter-Teams zu sein. Ich bin freiberuflicher Softwarearchitekt und unterstütze den Mittelstand dabei, besondere Herausforderungen in der Softwarearchitektur zu meistern. In den vergangenen 15 Jahren habe ich an Systemen mit über 220 Millionen Nutzern und als Head of Backend Development gearbeitet.
Nun viel Spaß mit dem Interview!
„Wenn Firmen Open Source nutzen wollen, unterstützen wir das“
Matt, wofür bist du als Senior Vice President und Head of Product für das Agile- und Devops-Portfolio von Atlassian alles zuständig?
Ich bin zuständig für Jira Align, Jira, Bitbucket, Compass, Jira Product Discovery (JPD) und Focus, das wir auf der Team ‘24 vorgestellt haben. Außerdem betreue ich unsere AI-Entwicklungen, inklusive Auto-Code-Reviews und Devops-Automatisierung.
Kannst du uns mehr über Focus erzählen?
Focus geht aus unserer Arbeit für die Unternehmensplanung hervor – dafür haben wir auch Jira Align gekauft. Das Feedback unserer Kunden hat uns gezeigt, dass die Probleme häufig gar nicht in der Planung liegen, sondern darin, zu verstehen, wie die eigene Arbeit mit der Gesamtstrategie zusammenhängt.
Häufige Fragen sind: Woher weiß ich überhaupt, dass meine Arbeit irgendwie wichtig ist? Und: Wie kann ich eine Strategie so kommunizieren, dass alle wissen, dass sie an den richtigen Dingen arbeiten?
Focus ermöglicht es Firmen, ihre Strategie so darzustellen, dass sie sichtbar und brauchbar und teamübergreifend zeigt, wie die Arbeit des Einzelnen in die große Strategie passt.
Kannst du das konkret machen und auch sagen, welche Firmen von Focus profitieren sollen und welche Probleme es löst?
Es geht eigentlich nicht um die Größe, aber natürlich haben größere Firmen mehr mit Komplexität zu kämpfen. Bei Atlassian organisieren wir unsere Arbeit zum Beispiel in Portfolios, Initiativen und Sub-Initiativen. Auf jeder der Stufen gibt es OKRs, also Objectives and Key Results, die wir Leuten zuordnen. In kleineren Firmen mag ein Tabellensheet reichen, bei 1.000 und mehr Mitarbeitern braucht man aber ein System wie Focus, um eine Strategie verwalten und kommunizieren zu können.
Einer unserer Kunden hatte zehn solcher Ebenen – vom Geschäftsführerlevel zur Abteilung, zum Portfolio, zum Produkt. Für solche komplexen Konstrukte ist ein Tool wie Focus von unschätzbarem Wert.
Dreht sich Focus nur um OKRs oder werden auch andere Methoden unterstützt?
Momentan sind es vor allem OKRs. Es ist eine größere Zielplattform integriert, man kann also auch andere Ziele definieren. Nur ist es so, dass 90 Prozent unserer Kunden OKRs nutzen, um Strategie und Ausführung auf eine Linie zu bringen.
Kommen wir nun mal zu den Softwarearchitekten: Welche Atlassian-Tools gibt es für sie? Gibt es vielleicht so eine Art Geheimtipp unter diesen Tools?
Compass ist das wichtigste Tool. Wir haben es im Oktober 2023 rausgebracht, es soll bei dem Management der immer komplexer werdenden Microservices helfen. Es ist im Grund ein Komponentenkatalog, der Teams helfen soll zu verfolgen, wer welchen Service betreut, wo die Dokumentation ist, wer grad dran ist, was zu machen ist und wie die Komponenten performen.
In Compass kann man Abhängigkeiten zwischen Services definieren und ihre Wechselwirkungen beschreiben. Wenn ich eine Architektur entwickle, mache ich oft riesige Diagramme, um die Perspektiven der verschiedenen Stakeholder zu berücksichtigen. Das hilft allen, das System besser zu verstehen. Die Darstellung der Abhängigkeiten in Compass gibt nicht wirklich Einblicke, wie das System arbeitet. Gibt es Pläne, das Modeling in Compass zu verfeinern, so dass man aussagekräftigere Abbildungen des Systems als nur die technischen Abhängigkeiten bekommt?
Ich verstehe den Wunsch nach aussagekräftigeren Darstellungen. Momentan konzentriert sich Compass auf Governance und Compliance und hilft Entwicklern, schnell Informationen zu speziellen Komponenten zu finden. Über eine weiterführende Modellierung haben wir noch nicht nachgedacht, aber eine vereinfachte Darstellung der Abhängigkeiten könnte auf jeden Fall ein Mehrwert sein. Wir werden daran denken, wenn wir das Produkt weiterentwickeln – und du bekommst dann zehn Prozent Gewinnbeteiligung (lacht).
Eine andere Herausforderung für Softwarearchitekten ist, die Dokumentation up-to-date zu halten. Nicht selten passiert es, dass die Dokumentation mit der Zeit veraltet und dann nutzlos wird. Gibt es Tools von Atlassian, die dieses Problem angehen?
Eine Sache, die wir für Compass Anfang 2025 vorhaben, ist Automatisierung. Das wird dabei helfen, Policys durchzusetzen, wie dass jeder Service einen Owner hat und dass die Dokumentation regelmäßig geprüft und aktualisiert wird. So bleiben die Teams bei Änderungen auf dem Laufenden und haben einen aktuellen Blick auf den Zustand des Systems.
Ich würde gern beschreiben, wie ich es mache: Ich bringe die Architekturdokumentation direkt im Code-Repository unter. Dabei nutze ich Markdown oder Asciidoc. So bleibt die Dokumentation up-to-date mit dem Code und wenn Entwickler etwas ändern, können sie auch direkt die Dokumentation ändern. Unterstützen die Tools von Atlassian das?
Das ist ein interessanter Ansatz! Ich bin nicht direkt für Confluence verantwortlich, aber ich werde mit dem Team besprechen, ob wir das auch unterstützen sollten. Es klingt so, als wäre die Architektur bei dir gut in den täglichen Entwicklungsworkflow integriert, das ist toll.
In den Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, haben wir einen Mono-Repository-Approach. Unterstützt Compass Mono-Repositories und ist das für die Zukunft geplant?
Wir machen es aktuell nicht, haben es aber auf unserer Roadmap. Es sollte bis zur nächsten Team-Konferenz im April 2025 fertig sein.
Lass uns mal über Jira sprechen. Viele Firmen, mit denen ich arbeite, machen die Arbeit mit Jira kompliziert, indem sie viele eigene Felder und Workflows ergänzen. Die Prozesse werden dadurch weniger agil, sondern durch das Tool gesteuert. Was ist deine Erfahrung und wie gehen Firmen mit diesem Problem um?
Das ist ein gängiges Problem, vor allem in kleineren Firmen, in denen Admins viel Freiheiten haben, das Tool an ihre Vorstellungen anzupassen. Wir kennen Fälle von, wie ich es nenne, „admin sprawl“ („sprawl“ heißt auf Deutsch „Ausuferung“ oder „Zersiedelung“, Anm. d. Red.), wo Admins die Prozesse unnötig verkompliziert haben, indem sie viele eigene Felder und Konfigurationen eingefügt haben. Wir arbeiten an einem Feature namens „head coach“, das Jira-Set-ups optimieren soll. Es macht Vorschläge, welche Felder gelöscht und welche Prozesse vereinfacht werden könnten. Wir prüfen auch, ob man unbenutzte Felder nach und nach verstecken könnte, damit das Interface übersichtlicher wird.
Viele meiner Kunden zögern immer noch, in die Cloud zu gehen. Sie haben Sicherheits- und Compliance-Bedenken. Atlassian lässt seine Serverprodukte auslaufen – wie überzeugt ihr Kunden, doch in die Cloud zu gehen?
Ich kann die Bedenken nachvollziehen. Es gibt viele Fortschritte in Sachen Security und Compliance und viele Firmen lassen kritische Operationen wie HR oder Finanzsysteme in der Cloud laufen. Wir haben einige Features ergänzt, um diese Probleme anzusehen, zum Beispiel die Datenresidenz. Ich versuche immer zu verstehen, woher die Bedenken der Kunden kommen, aber für viele geht es da mehr um firmeninterne Belange als um technische Hürden. Wir haben einige neue Features entwickelt, wie KI und Automatisierung, und zwar speziell für die Cloud, damit sich der Umzug für die Kunden lohnt.
Eine letzte Frage: In Deutschland gibt eine Tendenz hin zu Open-Source-Alternativen wie Opendesk. Wie wirkt sich das auf Atlassians Zukunftspläne aus?
Eine interessante Frage. Wir haben uns schon immer für Offenheit eingesetzt, der Marketplace und das Ökosystem sind Atlassians große Stärken. Wenn Kunden lieber Opendesk als Confluence nutzen, unterstützen wir das. Unser Teamwork Graph ist in der Lage, Third-Party-Produkte zu integrieren, Flexibilität ist eines unserer Ziele. Wir würden auch eine tiefere Integration erwägen, wenn die Nachfrage da ist.
Danke für die Einblicke und für deine Zeit.
Danke für das Gespräch!